Freitag, 21. April 2017

Die Auswanderung per se

Am 2. Juni 1844 kam es zum umjubelten Abmarsch von 43 Personen inklusive Andreas Dietsch: 25 Erwachsene, 19 Männer und 6 Frauen und 18 Kinder.
‚Es gaben einige hundert Personen, jung und alt, uns das Geleite bis vor die Stadt hinaus, als wir von Aarau wegfuhren. Etwa 50 kamen bis Schönenwerd mit. Viele reichten mit  tränenden Augen die Hand zum Abschied, die unter dem Druck der Zeit leiden, mit dem Wunsche, sich aus ihren bedrängten Verhältnissen herausreissen und mit übers Meer fahren zu können.’

 Tagebuchauszüge 'Auf dem Schiff'
gelesen von Bruno Schlatter

Birsfelden, 3. Juni
Heute Morgen brummten unsere Weiber, dass sie keinen Kaffee fürs Frühstück erhielten und auf Stroh und Boden schlafen mussten.
St. Clemence, 8. Juni
Heute Morgen, ungefähr zweieinhalb Stunden von St. Didel hinweg, wurden 2 Felgen an einem der hinteren Räder unseres Wagens so schadhaft, dass wir mitten auf der Strasse Halt machen mussten und so gut es gehen mochte, 2 Notspeichen untersetzten, eine Schiene mit 2 Nägeln, die viel zu gross war, festnageln. Nachher, wenn’s bergab ging, konnte die Sperrmaschine nicht mehr angewendet werden, deshalb mussten wir selbst den Wagen zurückhalten. Es war jedenfalls ein possierlicher Anblick, wie 20 Mann hinten und zu beiden Seiten am Wagen hingen und alle Leibeskräfte anwandten, ihn zurückzuhalten, bis ihnen der Schweiss aus allen Poren herausdrang.
Nanzig, 9. Juni
In St. Louis kamen dem Wirt 4 neue Löffel, etliche Messer und Gabeln abhanden. Ich bitte daher jeden, der dies zu lesen bekommt, wenn er früher oder später auswandern sollte, sich still, friedlich und ehrlich auf der Reise zu betragen und die Geistlichen und Ortsvorsteher, dass sie ihre Angehörigen, welche auswandern wollen, ermahnen und ihnen zusprechen, dass sie nicht den Namen ihrer Landsleute schänden und missbrauchen.

Chalons, 13. Juni
Heute hielten wir über Mittag in La Chaussée, wo es zwischen uns und den Grobianen der andern Wagen zu einer tüchtigen Schlägerei gekommen wäre, hätte ich mich nicht noch schnell genug mit noch ein paar andern Vernünftigen zwischen die Streitenden geworfen und sie auseinander gerissen. Diese unvernünftigen und ungezogenen Menschen necken uns nämlich seit ein paar Tagen auf alle möglichen Weisen und da wir es nicht achten, sondern ihrem Unverstande es zuschreiben, so legen sie es uns für Feigheit aus und werden immer frecher. Wir haben sie mit noch keinem Wort beleidigt, nur wollen wir mit ihnen nichts gemein haben, dies ist wahrscheinlich ihr ganzer Hass, ..., es scheint ihnen nicht zu gefallen, dass es in unserem Wagen friedlicher hergeht als in den andern.

Unsere Reise von Aarau bis hierher ist, im ganzen genommen, gut und ohne Unfall abgelaufen; nur ist die Art, wie wir reisten, sehr beschwerlich und mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden. Im Wagen, wo Kisten, Koffer, Körbe und Betten eingepackt sind, ist für so viele Personen fast nicht genug Raum zum Sitzen; bergan muss man zu Fuss gehen, sitzt man im Wagen, so wird man derb geschüttelt, wozu die in Frankreich oft in einem erbärmlichen Zustande sich befindenden Strasse das ihrige beitragen.

St. Louis, 4. Juni
Heute früh kamen wir hierher und wurden an der Douane so lange aufgehalten, dass wir hier übernachten mussten

Den 25.
Vor Tagesanbruch erwachte ich und hörte, dass es regnete; ich ging hinaus; und da sah ich, dass die Waren nass wurden, weckte ich einige Kameraden auf, mit deren Hilfe ich alles, ob uns gehörig oder nicht, auf einen Haufen zusammentrug und ein Dach von Brettern darüber baute. Kaum waren wir damit fertig und tüchtig durchnässt, so hörte es auf zu regnen und wir hatten den ganzen Tag hindurch das schönste Wetter; damit uns aber der Zwieback in der Folge nicht schimmlig werde, mussten wir die Fässchen öffnen und den nass gewordenen daraus entfernen.

Endlich wird uns bekannt gemacht, dass wir um 4 Uhr an Bord unseres Schiffes sein sollten. Am 23. Morgens um 10 Uhr kamen wir nach Havre, froh, die beschwerliche Landreise beendigt zu haben. Gegen Abend nahmen wir Besitz von den uns zugeteilten Bettstellen im Postschiff Albany, Kapitän Grawfort. Die drückende Hitze, der Schiffsgeruch und der Dunst, der im Zwischendeck herrschte, gefiel uns schlecht; ich schlief diese Nacht noch im Wagen

Den 42. Fassten wir im Magazin des Herrn Barbe unsere Lebensmittel, nämlich auf die erwachsene Person und Kinder im Verhältnis laut Accord 40 Pfund Zwieback, 15 Pfund geräuchertes Fleisch, 6 Pfund Butter, 6 Pfund Mehl, 4 Pfund Salz, 5 Pfund Reis, 2 Hektoliter Erdäpfel, 20 Liter Wein, 1 ½ Liter Branntwein und 1 ½ Liter Essig.

1.Juli
Heute morgen fing das Bretterdach einer unserer Küchen zu brennen an, das Feuer wurde aber bald wieder gelöscht. Auch kamen wir auf die hohe See.

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etwa um 2 Uhr erblickten wir auf der Oberfläche des Wassers einen schwarzen Punkt, nur so gross wie eine Faust, als er sich näherte, glich es einem schwimmenden Pudel und bald erkannten wir, dass es eine kleine Schaluppe war, von 4 Matrosen geordert, welche den Lotsen an Bord hatte, der unser Schiff in den Hafen von New York geleiten sollte.
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4. August
Gestern nachts nach 9 Uhr tauchte dann und wann ein Lichteschimmer aus den Wellen hervor, der nach und nach deutlicher und bald als die Leuchttürme von New York erkannt wurden.
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Der Eindruck lässt sich nur fühlen und nicht beschreiben, der sich unser bemächtigte, als die Sonne aufging und das Ufer beschien; wir konnten uns nicht satt sehen an den schönen grünen mit Waldungen bedeckten Hügeln, die unten zum Teil mit palastähnlichen Gebäuden ganz übersät sind.

2. August
Endlich ward uns die Hoffnung zu Teil, bald ans Land zu kommen.
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Alles geriet in eine freudige Bewegung
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in der Nacht wurde eine unserer Küchen zusammengeschlagen und über Bord geworfen; des Morgens nach 6 Uhr mussten wir alle, gross und klein, aufs Verdeck, um die ärztliche Visitation und Abzählung zu passieren, wir mussten unsere Strohsäcke ausleeren
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die Matrosen warfen alles, Holz, Fässer und dergleichen über Bord, damit es Platz gab, denn es sah überall grauenhaft aus
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Unser Wein ging heute auch zu Ende, nun bleibt uns nichts mehr übrig als etwas Reis, ein wenig Mehl und Butter und 12 ganze Fässchen Zwieback.

22. August
Wir kamen gut nach Cincinati, ausser dass unser Schiff einigemal steckenblieb, einmal 8 und ein andermal 4 Stunden lang ... Das Auffahren der Schiffe ist bei bei dem niedrigen Wasserstand etwas so gewöhnliches, dass niemand deshalb eine Miene verzieht. Ist ein Schiff aufgefahren, so wird es umgewendet, hilft das nicht, so wird ein etwa 50 Fuss langer Sperrbalken direkt neben dem Schiff auf den Grund gesetzt und vermittelst einem oben daran befestigten Flaschenzuge mit der Schiffwinde von der Stelle geschoben, geht das nicht, so werden die Anker an lange Taue befestigt und mit der Schaluppe hinausgefahren und ausgeworfen, und so das Schiff über den Sand weggezogen; aber oft ist kein fester Grund da, dass die Anker nicht fassen können, asldann bleibt nichts übrig als geduldig zu warten, bis das Wasser den Sand unter dem Schiff wegspült oder es anwächst.

9. August
Der Kanal führte bisher oft durch öde traurige Gegenden, in welchen nur hie und da eine ärmlich aussehende Hütte anzutreffen ist, allwo man nichts kaufen kann, das herumlaufende Hornvieh sieht ganz mager aus und die Milch, die wir bekamen, war ganz wässrig.

1. September, St. Louis
Endlich haben wir das erste Ziel unserer Reise erreicht, gestern gegen 4 Uhr kamen wir hier an
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Vom gelben Fieber ist aber hier noch keine Rede, hingegen herrscht das gewöhnliche kalte Fieber dieses Jahr stärker als andere Jahre, man zählt über 2000 Fieberkranke

8. August
Das Dampfboot führte uns 40 Meilen weit bis New Heaven, von wo aus wir auf der Eisenbahn bis an den Delaware befördert wurden und in einem Dampfboot nach Philadelphia übergesetzt wurden, wo wir nachmittags um 3 Uhr ankamen. Auf der Eisenbahn wurde wir so derb geschüttelt wie in Deppelers Wagen, wir mochten ungefähr eine Stunde lang gefahren sein, als etwas an der Lokomotive zerbrach, es dauerte über eine halbe Stunde, bis sie wieder hergestellt war.

 19.  August
aber die Herren Agenten, Wirte, Makler, Spitzbuben und Halunken von allen Nationen, versprechen dem Einwanderer, wenn sie merken, dass er nur noch einen Taler in der Tasche hat, alles, was er wünscht und gerne hört; sie besitzen darin eine Fertigkeit, dass ich ihre Überredungskunst oft bewundern musste. Wer daher nach Amerika kommt, der schenke keinem Gehör, er mag so ehrlich aussehen und scheinen wie er will; man glaube ja nicht, dass einer jemanden einen Dienst umsonst erweisen werde; sie sind alle Müssiggänger des Profites halber da.

30. August
Gestern Nacht sind wir in den Mississippi gekommen... wir sind froh, denn jetzt geht’s rascher vorwärts.

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