Sonntag, 23. April 2017

Der Aufbau New Aaraus

22. September
Aber meine Freunde waren ziemlich herabgestimmt, als ich die finstern Gesichter meiner Gefährten erblickte; es hatte nicht ohne Grund alle erbittert, dass etliche der Brauchbarsten, vom Eigennutz verleitet, zurück blieben, und dass wir, statt ihrer, einen Haufen Kinder mitbrachten, die uns viel Arbeit, Unruhe und Kosten verursachen und noch nichts leisten können. .... Für uns neu Angekommenen war kein Obdach, ja nicht einmal eine Handvoll Stroh vorhanden; ich schlug so gut es gehen mochte ein Zelt von Leintüchern auf, worunter wir zur Not schlafen konnten.

Foto Kai
25. September
Gestern und heute mussten wir uns über Hals und Kopf tummeln, dass wir unser Haus mit Schindeln gedeckt kriegten, denn es fing an zu regnen, und unser Zelt als die Hütte sind weder luft- noch wasserdicht.

29. September
Gestern Morgen sind Läuchli und Weber, in Folge stattgefundener Misshelligkeiten und kleinlicher nichtssagender Zänkereien, von hier abgegangen: mit ihnen ging der Becker, dessen Gesundheitszustand sehr bedenklich ist, und Bücheler, der die ganze Woche über bei uns blieb, uns die Türe ans Haus machte und noch sonstige Arbeiten verrichten half.  ... Heute Morgen war ein starker Reif; wir erfahren von den uns besuchenden Nachbarn, dass viel Tabak erfroren sei.

6. Oktober
Heute Morgen musste ich nach Westphalia reisen, um Arzneien und Reis zu holen; es sind Bäbler und Enderes krank: Venus, Boshardt und Bäblers älteste Tochter Katharina; sie haben alle das kalte Fieber. Wetzstein, Oertli und ich sind auch nicht ganz kapitelfest, es fehlt uns an allen Gliedern.
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In unserer Nachbarschaft steht ein leeres Haus, das diesen Sommer von zwei deutschen Familien aufgebaut wurde, aber noch ehe es ganz fertig war, sind alle gestorben bis an 2 kleine Kinder, welche nun die Nachbarn angenommen haben. ...

4. November
Gestern nachts, punkt 10 Uhr, ist Bäbler gestorben, Er wurde 56 ½ Jahre alt und hinterlässt uns eine Witwe mit 7 unerzogenen Kindern.

10. November
Heute wurde mir zum ersten Mal Angst in Amerika; ich ritt diesen Morgen nach Westphalia um Arzneien zu holen; wie ich wieder halbwegs zurück war, brannte der Wald auf der einen Seite, das Feuer nahete sich aber so schnell, dass ich mit Galopp einen steilen Hügel hinuntersprengen musste, wo ich riskierte, samt dem Pferd, Hals und Bein zu brechen; ich hatte keine andere Wahl, denn hinter und neben mir war das herannahende Feuer bis auf 6 Schritt, doch kam ich ganz gut hinweg.

10. November
Unser Land besteht nun in 360 Acres und liegt am rechten Ufer des Osage, 7 ½ Meilen oberhalb der Mündung des Osage in den Missouri, in der 20. und 21. Sektion des Taunschipp 43 im Osage Country. Das Land bildet 3 Hügel, wovon sich 2 gegen Südost und einer gegen Südwest abdacht und sich vorzüglich gut zum Weinbau eignen; eine halbe Meile längs dem Osage ist eine schöne Fläche des besten Bottemlandes; um das Haus herum können über hundert Acres in eine Fenst gelegt werden; das Haus ist etwa 1000 Schritt vom Osage entfernt, 2 Quellen sind 150 Schritt vom Haus, die so eben benutzt werden, liefern nicht vom besten Wasser, auch läuft ein kleiner Bach, die Lee Brench, durch unser Land, aber im Sommer ist, wie in den andern Flächen allen, in diesen Gegenden kein Wasser. Es sind auch viele Acres unseres Landes der Steine wegen keiner Kultur fähig ... auch soll unter unserem Land, wie mir ein alter Nachbar versichert, vieles Bleierz liegen. Auf dem Land ist die Eiche vorherrschend, aber selten über 3 Fuss dick, dann die Kykery, im Bottem stehen 5 bis 6 Fuss dicke Platanen ... dann auch sehr Gewild, als: Hirsche, Hasen, Fischotter, Waschbären, Blosum, Eichhörnchen, Indianische oder Welsche Hühner, Fasanen, wilde Gänse und Enten ...
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Im Osage gibt es viele Fische ... gepflanzt und ausgeführt, wird aus dieser Gegend viel Tabak, Hanf, Weizen und Welschkorn, Honig, Wachs, Unschlitt, dürre Häute und Tierfelle. Es gedeihen hier alle Gartenfrüchte und Obstsorten ... Die Weinreben gedeihen hier ausserordentlich gut...
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Mit dem Vieh macht man sich her auch nicht viel zu schaffen, man lässt es das ganze Jahr durch im Busch herumlaufen und sich sein Futter selber suchen, nur den Pferden und Ochsen gibt man zu fressen, wenn man sie zur Arbeit braucht. ... die Schweine werden, wenn es viele Eicheln gibt, ganz fett ... Die Lebensmittel sind hier überhaupt sehr billig ... den billigen Preisen der Produkte gegenüber, ist der Lohn an jeder Arbeit ziemlich hoch... fast jeder produziert alles, was er braucht selbst, bis an das Salz und Kaffee..
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Nichtsdestotrotz leben die Bewohner dieser Gegenden gut, und was mehr wert ist, frei und unabhängig, ohne Kummer und Sorge, die Steuern sind so gering, dass es fast nicht der Mühe lohnt davon zu reden ... Aber trotz dem Überfluss auf der einen Seite, ist auf der andern in Amerika auch nicht alles Gold, was glänzt.  Das gute Essen wird einem bald zur Gewohnheit und gleichgültig, und beinahe jeder muss sich durch Krankheit akklimatisieren.

6. Oktober
Wer daher nach dem Westen Amerikas kommt, und seiner Gesundheit und Leben, so viel es von ihm abhängt, schonen will, der hüte sich, wenn er ans Land kommt, vor übermässigem Essen und Trinken und hauptsächlich vor frischem Fleisch, Obst und kaltem Wasser ...
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Man hüte sich vor Erhitzung und Erkältung, und bringe, wenn man immer kann, einige Zeit mit Nichtstun zu, bis man das Klima ein wenig gewöhnt ist; es ist besser, als am Anfang etwas zu verdienen, das man nachher zehnfach wieder aufopfern muss. ...
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Wir meinten nämlich auch, wir seien gescheit und geschickt genug, griffen aber doch vieles ganz verkehrt an und leierten daran herum, plagten uns und kamen doch nicht vorwärts. Hätten wir gleich von Anfang einen Zimmermann eine Woche lang gehabt, so hätten wir jetzt wahrscheinlich statt einem noch nicht fertigen Haus deren zwei fertig;

20. Oktober
Nun bin ich noch der einzige Mann auf den Beinen; ich bin jetzt Krankenwärter, Postreiter, Schreiner, Zimmermann, Koch und dergleichen mehr. Unser Haus ist fertig bis an den Boden zu belegen, Venus, Boshardt und ich machten das Kamin, Oetrli und ich haben es von innen und aussen mit Lehm verstrichen. ... Vorgestern hat’s geregnet und geschneit, gestern und heute  morgen war es stark gefroren.

27. Oktober
Vergangene Woche hatten wir Juli- und Dezemberwetter ... wir alle schwitzten ohne Unterlass, alsdann kam ein starkes Gewitter, worauf es wieder ziemlich kühl wurde. ...
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Bei uns sieht es jetzt vollends aus wie in einem Krankenhaus
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Hier, wo der Lebensunterhalt so leicht zu erwerben ist, finden sich wenige glücklich, zufriedene Menschen vor, doch gibt es auch viele darunter, die nicht wieder nach Europa zurückkehrten, selbst wenn sie hier um Hab und Gut kämen. Es vergeht fast kein Jahr, wo nicht Gesellschaften, die sich in Europa gebildet haben, hier einwandern, um gemeinsam Hand in Hand sich das Leben zu erleichtern; die aber, wenn sie sich nicht schon auf der Reise trennen, gewöhnlich auseinanderlaufen, nachdem sie kaum den Boden Amerikas betreten haben, weil jeder glaubt, hier sein Glück allein besser zu machen, da keiner des andern Fehler übersehen mag, und jeder glaubt, er sei besser und verdiene mehr. Dies alles hat sich zum Teil auch bei unserem Unternehmen bewahrt.. Mein Aufruf, die Gründung von Neu-Helvetia, so wie die darauf folgenden Statuten, waren schön zu lesen, aber ein anderes ist es, darnach zu handeln und die guten Vorsätze auszuführen; beim Lesen von so etwas, lässt es sich zu Hause recht friedlich mit andern leben, leicht arbeiten, dulden und entbehren, aber wenn die Wirklichkeit vorhanden ist, so gestalten sich die Dinge anders. Es befanden sich bei unserer Gesellschaft Leute, die gerne bei wenig Arbeit ein gutes Leben führen, andere wieder hofften gebackene Fischlein zu fangen, ohne in’s Wasser zu müssen, sondern andere sollten sie herausholen, wieder andere hatten gute Grundsätze und waren bereit, jedes Opfer zu bringen, nur sollte sich alles nach ihnen richten...

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