Sonntag, 30. April 2017

Die Aargauische Auswanderungsgeschichte

Argovia, die Jahresschrift der Aargauischen Historischen Vereinigung publizierte einen ausführlichen Bericht zur aargauischen Auswanderungssituation im 19. Jahrhundert.
Dietschs Pech war wohl, in einer eher ruhigen Zeit zu gehen, so hätten er und seine Gesellschaft einige Jahre später wohl Geld von der Stadt erhalten, als man in den 50er Jahren nach der Kartoffelmissernte 45/46 und wegen zunehmender Bevölkerungszahlen und massiver Verarmung den Leuten nahelegte, auszuwandern.

Zur politischen und oekonomischen Situation in der Schweiz:


Due europäische Situation kurz nach Dietsch:



Samstag, 29. April 2017

Kolonien in Amerika: Nachtrag The Shakers

Auch die Shakers waren religiöse Auswanderer und lebten die Gütergemeinschaft:


Shakers heissen sie wegen ihrem ausgelassenen Gruppen-Schütteltanz:


Und hier ein paar Tänze von heute:




Freitag, 28. April 2017

Kolonien in Amerika: Nachtrag The Amana Colonies

The Amana Colonies waren eine Gründung von ursprünglich französischen Reformierten, welche nach dem Kamisardenaufstand via Süddeutschland nach Amerika fanden.
Sie zogen kurz vor Dietsch, 1843, los. Die auf Glaube und Gütergemeinschaft beruhenden Koloniedörfer existieren heute noch, die Gütergemeinschaft wurde allerdings 1932 aufgegeben:

Donnerstag, 27. April 2017

Die Nach-Dietsch-Ära

Die meisten Übriggebliebenen der aufgelösten Dietsch-Kolonie New Aarau zogen nach St. Louis. Einige stellten sich für die Amerikaner in den mexikanischen Krieg, wofür sie nach dem Sieg Land erhielten und in Iowa 1847 Communia gründeten (eine Art Nachfolge New-Helvetias).  
Die Agrarutopie Communia florierte anfangs und wurde Ende 1850 von Wilhelm Weitling übernommen, welcher wegen seiner schwankenden, despotischen Art bald scheiterte, 1855 kam es zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten, inneren Auseinandersetzungen und zu Ruin und Auflösung:
Communia und Weitling 

Communia im A.T.Andreas' illustrated historical Atlas of the State of Iowa

Eine andere amerikanische, utopische Siedlung

Ausführlicher englischer Bericht über Communia:Communia in Two hundred Years of American Comunes

Weitling als Rätsels Lösung in der WOZ 

Ausführlicher englischer Bericht über Communia:
The Missouri Historical Revue über Utopian Societies und über Dietsch (ab Seite 10) 

Mittwoch, 26. April 2017

Das Tagebuch des Andreas Dietsch

Einerseits schrieb Dietsch schön gefärbte Reiseberichte und andererseits ein wiederholt zitiertes wahrheitsgetreues (?) Tagebuch (wiederum als pdf downloadbar bei der Kantonsbibliothek!). Wir haben in den vorherigen Posts oft daraus zitiert!

Dienstag, 25. April 2017

Dietschs Tod

Letzter Brief Dietschs am 28. Januar:

Die letzten Neu-Helvetianer hatten es vorgezogen in St. Louis zu bleiben, Bitte, weitere Abreisen bis Herbst 1846 zu verschieben

Dietsch stirbt per Ende Januar 1845, der genaue Tag und die Ursache sind nicht genau bekannt.

Die Auflösung der Kolonie erfolgte im Frühjahr 1845.
Nach dem 2. Weltkrieg, 1947, fand der Landbesitzer Wiliam Vogel Gräber mit Knochen von drei Erwachsenen und einigen Kindern, worauf er Aaarau anschrieb, damit die Knochen in ihre Heimat zurückfänden, doch die Stadt reagierte nicht. Ausserdem fand Vogel eine rostige Schere, ein Apfelbaum und einige Rebstöcke waren ebenfalls noch erhalten vom Tausendjährigen Reich
Heute ist das Gebiet Teil der Berhorst Farm in Westphalia und dient als Viehweide. Die einstige Wasserquelle wurde 2011 wieder aktiviert und mit einer Gedenktafel geschmückt:
Die Berhorst Farm auf Googlemaps


Seit kurzem erinnert auch eine Gedenktafel an der Pelzgasse 26 in Aarau an den mutigen Utopisten:


Montag, 24. April 2017

Das Ende von Mew Aarau

In einem längeren Brief im November


10. November
Neid, persönliche Abneigung und Eigennutz lösten die Bande der Eintracht und das Streben für eine schöne Zukunft, dann noch das Unglück, das das Fieber unter uns anrichtete und das ganze Unternehmen dem gänzlichen Scheitern nahe brachte, denn es fehlte nur noch ein Schritt, so wäre die ganze Republik New-Helvetia nur noch in meiner Wenigkeit repräsentiert gewesen. Die Unzufriedenheit erreichte von allen Seiten einen solchen Grad, dass alle fort wollten; im Anfang konnten fast keine Lebensmittel angetrieben werden, das Fleisch war bald stinkend und voller Würmer, Speck und Welschkornbrot wollte keinem schmecken, dazu die schwere, ungewohnte Arbeit bei einer grossen Hitze ...
Kurz, es schien sich alles vereinigen zu wollen, das hoffnungsvolle Unternehmen noch ehe der Grund gelegt war, zu zerstören. Hätten wir hingegen ein zweites Haus bauen können, dass die Familien und Ledigen hätten abgesondert wohnen können, dass Letztere nicht Tag und Nacht das Geschrei und anderes der Kinder beständig hätten hören und mitansehen müssen, und wir nur etliche Acres Land hätten klären und mit Weizen säen können, so wäre alles anders gestanden; mit der Krankheit steigerte sich die Unzufriedenheit, wozu sich das Heimweh gesellte. Wir befanden uns alle in einem bejammernswerten Zustand. ... und dennoch gab ich die Hoffnung nicht auf, wenn auch alles fortgegangen wäre, so wäre ich allein hier geblieben...
Unsere Wahl der Niederlassung hätte vielleicht auch besser sein können, aber ich verstand so wenig davon als die andern; aber in der kurzen Zeit haben wir so viel gelernt, dass, könnten wir wieder von vorn anfangen, das Resultat sich besser herausstellen sollte. Wir haben allerlei Fehler begangen, dafür habe ich keine Entschuldigung ...
Denn ich hatte doch viel Vorzüge gegen meine vorigen Verhältnisse; wenn ich anfangs schon nur anderthalb Fuss breiten Platz und eine Handvoll Stroh zum Schlafen hatte, so wohnte ich doch im eigenen Haus und auf unserem Land; ich kann unser Pferd reiten, und sollte ich sterben, so werde ich auf unserem Land begraben... unser Lebensunterhalt ist ganz einfach: des Morgens haben wir eine Suppe oder Kaffee und Welschkornbrot oder Polenta dazu, Mittags, Suppe, Fleisch, Erdäpfel und weisse Bohnen oder Erbsen dazu, und des Nachts wie am Morgen; Wein oder Bier haben wir noch nicht gesehen, viel weniger getrunken, und mit dem Branntwein wollen wir der üblen Folgen wegen nichts zu schaffen haben ...
Hier lässt sich ohne Geld ebenso wenig ausrichten wie anderwärts. Im ganzen führen wir ein beschauliches Leben, man gewöhnt sich so nach und nach an die Verhältnisse, hoffend, dass es besser komme, wir haben Tag und Nacht ein lustiges Feuer im Kamin brennen, brauchen aber wöchentlich auch 1 ½ Klafter Holz, wer gesund ist arbeitet den Tag über was die Notwendigkeit erfordert und des Abends sitzen wir beisammen, erzählen uns allerhand und rauchen wohlfeile Zigarren, denn wir machen sie selbst und den Tabak fechten wir bei den Nachbarn.


15. November
Es war anfangs der Woche so kalt, dass 3 Meilen unterhalb von uns der Osage überfroren war...
Was ich daher jedem raten möchte, ist, dass er alles so macht, wie es die machen, welche schon lange da sind, wenn es ihm am Anfang auch verkehrt vorkommen sollte, er wird alsdann viel besser fahren als wenn er seinem eigen Kopf folgt.

Auszüge aus dem Tagebuch
gelesen von Bruno Schlatter

15. Dezember Brief
Es tut mir in der Seele weh, dass ich euch nicht alles von uns gehoffte Erfreuliche aus der neuen Heimat jetzt schon berichten kann; erschreckt aber deshalb nicht, denn aller Anfang ist schwer, und schwerer als jede Arbeit ist es, mit verschiedenartig gesinnten Menschen in Gemeinschaft etwas anzufangen und auszuführen. Ist aber nur einmal ein rechter Anfang gemacht, so ist mir auch für die Zukunft nicht bange, denn hier ist Raum genug für viele tausend Menschen, die sich gegenseitig glücklich machen können, wenn sie nur ernstlich wollen. ... Wo wir gefehlt haben, ist nicht böser Wille, wohl aber Unkenntnis schuld daran


Sonntag, 23. April 2017

Der Aufbau New Aaraus

22. September
Aber meine Freunde waren ziemlich herabgestimmt, als ich die finstern Gesichter meiner Gefährten erblickte; es hatte nicht ohne Grund alle erbittert, dass etliche der Brauchbarsten, vom Eigennutz verleitet, zurück blieben, und dass wir, statt ihrer, einen Haufen Kinder mitbrachten, die uns viel Arbeit, Unruhe und Kosten verursachen und noch nichts leisten können. .... Für uns neu Angekommenen war kein Obdach, ja nicht einmal eine Handvoll Stroh vorhanden; ich schlug so gut es gehen mochte ein Zelt von Leintüchern auf, worunter wir zur Not schlafen konnten.

Foto Kai
25. September
Gestern und heute mussten wir uns über Hals und Kopf tummeln, dass wir unser Haus mit Schindeln gedeckt kriegten, denn es fing an zu regnen, und unser Zelt als die Hütte sind weder luft- noch wasserdicht.

29. September
Gestern Morgen sind Läuchli und Weber, in Folge stattgefundener Misshelligkeiten und kleinlicher nichtssagender Zänkereien, von hier abgegangen: mit ihnen ging der Becker, dessen Gesundheitszustand sehr bedenklich ist, und Bücheler, der die ganze Woche über bei uns blieb, uns die Türe ans Haus machte und noch sonstige Arbeiten verrichten half.  ... Heute Morgen war ein starker Reif; wir erfahren von den uns besuchenden Nachbarn, dass viel Tabak erfroren sei.

6. Oktober
Heute Morgen musste ich nach Westphalia reisen, um Arzneien und Reis zu holen; es sind Bäbler und Enderes krank: Venus, Boshardt und Bäblers älteste Tochter Katharina; sie haben alle das kalte Fieber. Wetzstein, Oertli und ich sind auch nicht ganz kapitelfest, es fehlt uns an allen Gliedern.
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In unserer Nachbarschaft steht ein leeres Haus, das diesen Sommer von zwei deutschen Familien aufgebaut wurde, aber noch ehe es ganz fertig war, sind alle gestorben bis an 2 kleine Kinder, welche nun die Nachbarn angenommen haben. ...

4. November
Gestern nachts, punkt 10 Uhr, ist Bäbler gestorben, Er wurde 56 ½ Jahre alt und hinterlässt uns eine Witwe mit 7 unerzogenen Kindern.

10. November
Heute wurde mir zum ersten Mal Angst in Amerika; ich ritt diesen Morgen nach Westphalia um Arzneien zu holen; wie ich wieder halbwegs zurück war, brannte der Wald auf der einen Seite, das Feuer nahete sich aber so schnell, dass ich mit Galopp einen steilen Hügel hinuntersprengen musste, wo ich riskierte, samt dem Pferd, Hals und Bein zu brechen; ich hatte keine andere Wahl, denn hinter und neben mir war das herannahende Feuer bis auf 6 Schritt, doch kam ich ganz gut hinweg.

10. November
Unser Land besteht nun in 360 Acres und liegt am rechten Ufer des Osage, 7 ½ Meilen oberhalb der Mündung des Osage in den Missouri, in der 20. und 21. Sektion des Taunschipp 43 im Osage Country. Das Land bildet 3 Hügel, wovon sich 2 gegen Südost und einer gegen Südwest abdacht und sich vorzüglich gut zum Weinbau eignen; eine halbe Meile längs dem Osage ist eine schöne Fläche des besten Bottemlandes; um das Haus herum können über hundert Acres in eine Fenst gelegt werden; das Haus ist etwa 1000 Schritt vom Osage entfernt, 2 Quellen sind 150 Schritt vom Haus, die so eben benutzt werden, liefern nicht vom besten Wasser, auch läuft ein kleiner Bach, die Lee Brench, durch unser Land, aber im Sommer ist, wie in den andern Flächen allen, in diesen Gegenden kein Wasser. Es sind auch viele Acres unseres Landes der Steine wegen keiner Kultur fähig ... auch soll unter unserem Land, wie mir ein alter Nachbar versichert, vieles Bleierz liegen. Auf dem Land ist die Eiche vorherrschend, aber selten über 3 Fuss dick, dann die Kykery, im Bottem stehen 5 bis 6 Fuss dicke Platanen ... dann auch sehr Gewild, als: Hirsche, Hasen, Fischotter, Waschbären, Blosum, Eichhörnchen, Indianische oder Welsche Hühner, Fasanen, wilde Gänse und Enten ...
...
Im Osage gibt es viele Fische ... gepflanzt und ausgeführt, wird aus dieser Gegend viel Tabak, Hanf, Weizen und Welschkorn, Honig, Wachs, Unschlitt, dürre Häute und Tierfelle. Es gedeihen hier alle Gartenfrüchte und Obstsorten ... Die Weinreben gedeihen hier ausserordentlich gut...
...
Mit dem Vieh macht man sich her auch nicht viel zu schaffen, man lässt es das ganze Jahr durch im Busch herumlaufen und sich sein Futter selber suchen, nur den Pferden und Ochsen gibt man zu fressen, wenn man sie zur Arbeit braucht. ... die Schweine werden, wenn es viele Eicheln gibt, ganz fett ... Die Lebensmittel sind hier überhaupt sehr billig ... den billigen Preisen der Produkte gegenüber, ist der Lohn an jeder Arbeit ziemlich hoch... fast jeder produziert alles, was er braucht selbst, bis an das Salz und Kaffee..
...
Nichtsdestotrotz leben die Bewohner dieser Gegenden gut, und was mehr wert ist, frei und unabhängig, ohne Kummer und Sorge, die Steuern sind so gering, dass es fast nicht der Mühe lohnt davon zu reden ... Aber trotz dem Überfluss auf der einen Seite, ist auf der andern in Amerika auch nicht alles Gold, was glänzt.  Das gute Essen wird einem bald zur Gewohnheit und gleichgültig, und beinahe jeder muss sich durch Krankheit akklimatisieren.

6. Oktober
Wer daher nach dem Westen Amerikas kommt, und seiner Gesundheit und Leben, so viel es von ihm abhängt, schonen will, der hüte sich, wenn er ans Land kommt, vor übermässigem Essen und Trinken und hauptsächlich vor frischem Fleisch, Obst und kaltem Wasser ...
...
Man hüte sich vor Erhitzung und Erkältung, und bringe, wenn man immer kann, einige Zeit mit Nichtstun zu, bis man das Klima ein wenig gewöhnt ist; es ist besser, als am Anfang etwas zu verdienen, das man nachher zehnfach wieder aufopfern muss. ...
...
Wir meinten nämlich auch, wir seien gescheit und geschickt genug, griffen aber doch vieles ganz verkehrt an und leierten daran herum, plagten uns und kamen doch nicht vorwärts. Hätten wir gleich von Anfang einen Zimmermann eine Woche lang gehabt, so hätten wir jetzt wahrscheinlich statt einem noch nicht fertigen Haus deren zwei fertig;

20. Oktober
Nun bin ich noch der einzige Mann auf den Beinen; ich bin jetzt Krankenwärter, Postreiter, Schreiner, Zimmermann, Koch und dergleichen mehr. Unser Haus ist fertig bis an den Boden zu belegen, Venus, Boshardt und ich machten das Kamin, Oetrli und ich haben es von innen und aussen mit Lehm verstrichen. ... Vorgestern hat’s geregnet und geschneit, gestern und heute  morgen war es stark gefroren.

27. Oktober
Vergangene Woche hatten wir Juli- und Dezemberwetter ... wir alle schwitzten ohne Unterlass, alsdann kam ein starkes Gewitter, worauf es wieder ziemlich kühl wurde. ...
...
Bei uns sieht es jetzt vollends aus wie in einem Krankenhaus
...
Hier, wo der Lebensunterhalt so leicht zu erwerben ist, finden sich wenige glücklich, zufriedene Menschen vor, doch gibt es auch viele darunter, die nicht wieder nach Europa zurückkehrten, selbst wenn sie hier um Hab und Gut kämen. Es vergeht fast kein Jahr, wo nicht Gesellschaften, die sich in Europa gebildet haben, hier einwandern, um gemeinsam Hand in Hand sich das Leben zu erleichtern; die aber, wenn sie sich nicht schon auf der Reise trennen, gewöhnlich auseinanderlaufen, nachdem sie kaum den Boden Amerikas betreten haben, weil jeder glaubt, hier sein Glück allein besser zu machen, da keiner des andern Fehler übersehen mag, und jeder glaubt, er sei besser und verdiene mehr. Dies alles hat sich zum Teil auch bei unserem Unternehmen bewahrt.. Mein Aufruf, die Gründung von Neu-Helvetia, so wie die darauf folgenden Statuten, waren schön zu lesen, aber ein anderes ist es, darnach zu handeln und die guten Vorsätze auszuführen; beim Lesen von so etwas, lässt es sich zu Hause recht friedlich mit andern leben, leicht arbeiten, dulden und entbehren, aber wenn die Wirklichkeit vorhanden ist, so gestalten sich die Dinge anders. Es befanden sich bei unserer Gesellschaft Leute, die gerne bei wenig Arbeit ein gutes Leben führen, andere wieder hofften gebackene Fischlein zu fangen, ohne in’s Wasser zu müssen, sondern andere sollten sie herausholen, wieder andere hatten gute Grundsätze und waren bereit, jedes Opfer zu bringen, nur sollte sich alles nach ihnen richten...

Samstag, 22. April 2017

Der Landkauf für New Aarau

Am Morgen des 8. gingen wir allesamt in Begleit des Herrn Dr. Burns und eines Geometers nach dem Land, das 5 Meilen westwärts von Westphalia liegt; wir besichtigten das Land, und da uns dasselbe sowohl als die Lage und Gegend gefiel, so beschlossen wir, hier unsere Hütten zu bauen; wir liessen vom Geometer noch 6 Vierzig-Acresstücke daran stossendes Kongressland abmessen und kehrten des Abends wieder nach Westphalia zurück.

18. September
Am andern Morgen kamen wir zeitlich in Westphalia an, Herr Dr. Buns nahm uns gastfreundlich auf. Zufälligerweise besass er auf dem rechten Ufer des Osage ein Stück Land von 70 Acres, das er gegen eine Schuldforderung übernommen hatte; obschon ihm das Doppelte dafür geboten war, erbot er sich doch, es uns, als einer Gesellschaft, um den ihn kostenden Preis zu 98 Dollars 40 Cent zu überlassen.
...
Tags darauf kauften wir 2 Äxte, einiges Kochgeschirr und dergleichen, den folgenden Tag gingen Wetzstein und ich zurück nach Jefferson und die andern wohlgemut, mit Gerätschaften und Lebensmitteln bepackt, in den Busch, um die Gründung unserer Kolonie zu beginnen. Westphalia ist ein Ort von 17 Block- und 2 Backsteinhäusern mit einer hölzernen, den Jesuiten zugehörenden, katholischen Kirche ... vor 30 Jahren ertönte hier noch der Schlachtgesang der Osage-Indianer....
...
den daruffolgenden Tag verbrachten wir noch mit Ordnen und Einkaufen zu, und heute fahren insgesamt mit der Hundsville unserer neuen Heimat zu, Wir sind zusammen 18 Personen...

Nur noch 7 Erwachsene und 11 Kinder erreichten New Aarau




Freitag, 21. April 2017

Die Auswanderung per se

Am 2. Juni 1844 kam es zum umjubelten Abmarsch von 43 Personen inklusive Andreas Dietsch: 25 Erwachsene, 19 Männer und 6 Frauen und 18 Kinder.
‚Es gaben einige hundert Personen, jung und alt, uns das Geleite bis vor die Stadt hinaus, als wir von Aarau wegfuhren. Etwa 50 kamen bis Schönenwerd mit. Viele reichten mit  tränenden Augen die Hand zum Abschied, die unter dem Druck der Zeit leiden, mit dem Wunsche, sich aus ihren bedrängten Verhältnissen herausreissen und mit übers Meer fahren zu können.’

 Tagebuchauszüge 'Auf dem Schiff'
gelesen von Bruno Schlatter

Birsfelden, 3. Juni
Heute Morgen brummten unsere Weiber, dass sie keinen Kaffee fürs Frühstück erhielten und auf Stroh und Boden schlafen mussten.
St. Clemence, 8. Juni
Heute Morgen, ungefähr zweieinhalb Stunden von St. Didel hinweg, wurden 2 Felgen an einem der hinteren Räder unseres Wagens so schadhaft, dass wir mitten auf der Strasse Halt machen mussten und so gut es gehen mochte, 2 Notspeichen untersetzten, eine Schiene mit 2 Nägeln, die viel zu gross war, festnageln. Nachher, wenn’s bergab ging, konnte die Sperrmaschine nicht mehr angewendet werden, deshalb mussten wir selbst den Wagen zurückhalten. Es war jedenfalls ein possierlicher Anblick, wie 20 Mann hinten und zu beiden Seiten am Wagen hingen und alle Leibeskräfte anwandten, ihn zurückzuhalten, bis ihnen der Schweiss aus allen Poren herausdrang.
Nanzig, 9. Juni
In St. Louis kamen dem Wirt 4 neue Löffel, etliche Messer und Gabeln abhanden. Ich bitte daher jeden, der dies zu lesen bekommt, wenn er früher oder später auswandern sollte, sich still, friedlich und ehrlich auf der Reise zu betragen und die Geistlichen und Ortsvorsteher, dass sie ihre Angehörigen, welche auswandern wollen, ermahnen und ihnen zusprechen, dass sie nicht den Namen ihrer Landsleute schänden und missbrauchen.

Chalons, 13. Juni
Heute hielten wir über Mittag in La Chaussée, wo es zwischen uns und den Grobianen der andern Wagen zu einer tüchtigen Schlägerei gekommen wäre, hätte ich mich nicht noch schnell genug mit noch ein paar andern Vernünftigen zwischen die Streitenden geworfen und sie auseinander gerissen. Diese unvernünftigen und ungezogenen Menschen necken uns nämlich seit ein paar Tagen auf alle möglichen Weisen und da wir es nicht achten, sondern ihrem Unverstande es zuschreiben, so legen sie es uns für Feigheit aus und werden immer frecher. Wir haben sie mit noch keinem Wort beleidigt, nur wollen wir mit ihnen nichts gemein haben, dies ist wahrscheinlich ihr ganzer Hass, ..., es scheint ihnen nicht zu gefallen, dass es in unserem Wagen friedlicher hergeht als in den andern.

Unsere Reise von Aarau bis hierher ist, im ganzen genommen, gut und ohne Unfall abgelaufen; nur ist die Art, wie wir reisten, sehr beschwerlich und mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden. Im Wagen, wo Kisten, Koffer, Körbe und Betten eingepackt sind, ist für so viele Personen fast nicht genug Raum zum Sitzen; bergan muss man zu Fuss gehen, sitzt man im Wagen, so wird man derb geschüttelt, wozu die in Frankreich oft in einem erbärmlichen Zustande sich befindenden Strasse das ihrige beitragen.

St. Louis, 4. Juni
Heute früh kamen wir hierher und wurden an der Douane so lange aufgehalten, dass wir hier übernachten mussten

Den 25.
Vor Tagesanbruch erwachte ich und hörte, dass es regnete; ich ging hinaus; und da sah ich, dass die Waren nass wurden, weckte ich einige Kameraden auf, mit deren Hilfe ich alles, ob uns gehörig oder nicht, auf einen Haufen zusammentrug und ein Dach von Brettern darüber baute. Kaum waren wir damit fertig und tüchtig durchnässt, so hörte es auf zu regnen und wir hatten den ganzen Tag hindurch das schönste Wetter; damit uns aber der Zwieback in der Folge nicht schimmlig werde, mussten wir die Fässchen öffnen und den nass gewordenen daraus entfernen.

Endlich wird uns bekannt gemacht, dass wir um 4 Uhr an Bord unseres Schiffes sein sollten. Am 23. Morgens um 10 Uhr kamen wir nach Havre, froh, die beschwerliche Landreise beendigt zu haben. Gegen Abend nahmen wir Besitz von den uns zugeteilten Bettstellen im Postschiff Albany, Kapitän Grawfort. Die drückende Hitze, der Schiffsgeruch und der Dunst, der im Zwischendeck herrschte, gefiel uns schlecht; ich schlief diese Nacht noch im Wagen

Den 42. Fassten wir im Magazin des Herrn Barbe unsere Lebensmittel, nämlich auf die erwachsene Person und Kinder im Verhältnis laut Accord 40 Pfund Zwieback, 15 Pfund geräuchertes Fleisch, 6 Pfund Butter, 6 Pfund Mehl, 4 Pfund Salz, 5 Pfund Reis, 2 Hektoliter Erdäpfel, 20 Liter Wein, 1 ½ Liter Branntwein und 1 ½ Liter Essig.

1.Juli
Heute morgen fing das Bretterdach einer unserer Küchen zu brennen an, das Feuer wurde aber bald wieder gelöscht. Auch kamen wir auf die hohe See.

...
etwa um 2 Uhr erblickten wir auf der Oberfläche des Wassers einen schwarzen Punkt, nur so gross wie eine Faust, als er sich näherte, glich es einem schwimmenden Pudel und bald erkannten wir, dass es eine kleine Schaluppe war, von 4 Matrosen geordert, welche den Lotsen an Bord hatte, der unser Schiff in den Hafen von New York geleiten sollte.
...
4. August
Gestern nachts nach 9 Uhr tauchte dann und wann ein Lichteschimmer aus den Wellen hervor, der nach und nach deutlicher und bald als die Leuchttürme von New York erkannt wurden.
...
Der Eindruck lässt sich nur fühlen und nicht beschreiben, der sich unser bemächtigte, als die Sonne aufging und das Ufer beschien; wir konnten uns nicht satt sehen an den schönen grünen mit Waldungen bedeckten Hügeln, die unten zum Teil mit palastähnlichen Gebäuden ganz übersät sind.

2. August
Endlich ward uns die Hoffnung zu Teil, bald ans Land zu kommen.
...
Alles geriet in eine freudige Bewegung
...
in der Nacht wurde eine unserer Küchen zusammengeschlagen und über Bord geworfen; des Morgens nach 6 Uhr mussten wir alle, gross und klein, aufs Verdeck, um die ärztliche Visitation und Abzählung zu passieren, wir mussten unsere Strohsäcke ausleeren
...
die Matrosen warfen alles, Holz, Fässer und dergleichen über Bord, damit es Platz gab, denn es sah überall grauenhaft aus
...
Unser Wein ging heute auch zu Ende, nun bleibt uns nichts mehr übrig als etwas Reis, ein wenig Mehl und Butter und 12 ganze Fässchen Zwieback.

22. August
Wir kamen gut nach Cincinati, ausser dass unser Schiff einigemal steckenblieb, einmal 8 und ein andermal 4 Stunden lang ... Das Auffahren der Schiffe ist bei bei dem niedrigen Wasserstand etwas so gewöhnliches, dass niemand deshalb eine Miene verzieht. Ist ein Schiff aufgefahren, so wird es umgewendet, hilft das nicht, so wird ein etwa 50 Fuss langer Sperrbalken direkt neben dem Schiff auf den Grund gesetzt und vermittelst einem oben daran befestigten Flaschenzuge mit der Schiffwinde von der Stelle geschoben, geht das nicht, so werden die Anker an lange Taue befestigt und mit der Schaluppe hinausgefahren und ausgeworfen, und so das Schiff über den Sand weggezogen; aber oft ist kein fester Grund da, dass die Anker nicht fassen können, asldann bleibt nichts übrig als geduldig zu warten, bis das Wasser den Sand unter dem Schiff wegspült oder es anwächst.

9. August
Der Kanal führte bisher oft durch öde traurige Gegenden, in welchen nur hie und da eine ärmlich aussehende Hütte anzutreffen ist, allwo man nichts kaufen kann, das herumlaufende Hornvieh sieht ganz mager aus und die Milch, die wir bekamen, war ganz wässrig.

1. September, St. Louis
Endlich haben wir das erste Ziel unserer Reise erreicht, gestern gegen 4 Uhr kamen wir hier an
...
Vom gelben Fieber ist aber hier noch keine Rede, hingegen herrscht das gewöhnliche kalte Fieber dieses Jahr stärker als andere Jahre, man zählt über 2000 Fieberkranke

8. August
Das Dampfboot führte uns 40 Meilen weit bis New Heaven, von wo aus wir auf der Eisenbahn bis an den Delaware befördert wurden und in einem Dampfboot nach Philadelphia übergesetzt wurden, wo wir nachmittags um 3 Uhr ankamen. Auf der Eisenbahn wurde wir so derb geschüttelt wie in Deppelers Wagen, wir mochten ungefähr eine Stunde lang gefahren sein, als etwas an der Lokomotive zerbrach, es dauerte über eine halbe Stunde, bis sie wieder hergestellt war.

 19.  August
aber die Herren Agenten, Wirte, Makler, Spitzbuben und Halunken von allen Nationen, versprechen dem Einwanderer, wenn sie merken, dass er nur noch einen Taler in der Tasche hat, alles, was er wünscht und gerne hört; sie besitzen darin eine Fertigkeit, dass ich ihre Überredungskunst oft bewundern musste. Wer daher nach Amerika kommt, der schenke keinem Gehör, er mag so ehrlich aussehen und scheinen wie er will; man glaube ja nicht, dass einer jemanden einen Dienst umsonst erweisen werde; sie sind alle Müssiggänger des Profites halber da.

30. August
Gestern Nacht sind wir in den Mississippi gekommen... wir sind froh, denn jetzt geht’s rascher vorwärts.

Donnerstag, 20. April 2017

Neu Helvetia

Der konkrete Plan zur Auswanderung wurde dann anfangs 1844 publiziert (ebenfalls bei der Kantonsbibliothek als pdf downloadbar).


Es fanden sich bald genug Reiselustige um einen Verein zu gründen. Der erste Anlauf im Engel in Oberentfelden wurde nach einer Überarbeitung im Rössli in Aarau als Statuten gut geheissen und das Projekt startete durch:


24. März, Generalversammlung, Rössli, Aarau 
Der Vorschuss von 100 Mitgliedern gibt eine Summe von 10'000 Franken; mit diesem Gelde werden alsdann ein Jahr vorher 20 bis 25 vertraute Arbeiter, die für das Unternehmen die nöthigen Eigenschaften besitzen, nach Amerika geschickt, auf dass sie in einer fruchtbaren, gesunden, gut gelegenen Gegend, für den Anfang etwa 1200 bis 1500 Jucharten Land ankaufen, so viel als möglich davon urbar machen und anpflanzen, den Winter über Holz zuhauen, dass den Sommer durch ein Haus zur Not für die nachkommende Gesllschaft könnte erbaut werden und das nötige Werkzeug und Vieh anschaffen

Der amerikanische Landbauer hat nicht die Hälfte Mühe, Pfere, Kühe, Schafe und Schweine lässt er, ohne sie zu füttern, den ganzen Sommer herumlaufen und an Heu für den Winter hat er wieder keinen Mangel... Die Acker geben Korn zu Mehl und Brot und Gemüse, die Viehherden liefern Fleisch, Milch, Butter und Wolle, Spinnen und Weben kann man selbst

Sobald der Landbau erträglich genug ist, die Gesellschaft gehörig zu ernähren, wird man sich sogleich auf den Betrieb der andern Gewerbe verlegen und würde Stiefel, Schuhe, Kleider, Werkzeug, Möbel etc. verfertigen, und was man nicht selbst nötig hätte, verkaufen und von diesem Geld dann anderes einkaufen, was man nicht produzieren könnte

Mutmassliche Kostenberechnung
Von Basel bis Havre die Reise zu 20 Tage,
per Tag zu 1 Franken pro Kopf                                    20.-
die Überfahrtskosten zu 30 Tage
per Tag zu 7 Batzen                                                      21.-
Schifffsgebühr                                                              25.-

Summa                                                                          56.-

Aus den Reiseregeln:
Es soll sich jedes Mitglied für wenigstens auf zwei Jahre mit hinlänglich starken Kleidern versehen, besonders mit 2 bis 3 Paar guten Schuhen oder Stiefeln, 6 bis 10 Hemden, einem Strohhut mit breitem Rand, wenigstens einem Überhemd usw.

Wer Waffen besitzt, soll sie mitnehmen, besonders Doppelflinten und Stutzer.

Wer Handwerkszeug hat, das nicht zu schwer oder zu umfangreich ist, nehme dasselbe mit, als Äxte, Beile, Sägen, Hobel, Reuthausen, schustermechanische und sonstige unentbehrliche Werkzeuge mehr, Ackergerätschaften nicht, weil diese in Amerika viel vollkommener sind als hier, ausgenommen Spaten und Sensen. Hinlängliches Bettzeug, als Matratzen, Unter- und Überdecken, Leintücher und Anzüge, jedoch nicht zu viel von diesen des Raumes wegen; ferner für jede Person einen zinnernen oder blechernen Teller, Messer, Löffel und Gabel, irdenes oder Glasgeschirr der Zerbrechlichkeit wegen nicht.. Für die Kinder zinnerne oder blecherne Nachttöpfe, Waschgeschirr und dergleichen. Wer hier kein eigenes Bett hat, der kauft sich am Seehafen eine wollene Decke und eine Strohmatratze, die immer vorrätig und billig sind....
Von hier kann man mitnehmen, sauber gedörrte Kirschen. Zwetschgen, beschnittene Äpfel, Käse, schabziger, Kirschenwasser, geräuchertes Fleisch, Schinken und Würste, auch eingesottene Butter....
Die übrigen Lebensmittel, als eingesalzenes Fleisch, Zwieback, Mehl, Reis, Gerste, Hafergrütze, Erdäpfel, Eier, Tee, Zucker, Sirup, Wein, Branntwein, Essig und dergleichen werden in Havre gekauft...
Ferner muss ein Auswanderer mit den nötigen Schriften und Pässen versehen sein.

Aus der Allgemeinen Ordnung:  
1) Das Grundgesetz der Gesellschaft, das nicht abgeändert werden darf, ist allgemeine Gütergemeinschaft, so dass keiner, komme was wolle, Herr oder Eigentümer der Kolonie ist, sondern sie und was zu ihr gehört, ist Eigentum sämtlicher Mitglieder der Gesellschaft als solche.

Art 1 Es soll eine Kolonie, Neuhelvetia, im Staate Missouri in Nordamerika gegründet werden, woran jede rechtschaffene, friedliebende, uneigennützige Person, welchen Standes, Geschlechtes, Glaubens oder Landeskind sie sei, mit oder ohne Familie Theilnehmer werden kann.

kein Stand und keine Arbeit hat einen Vorzug über andere...
jedes Mitglied, männlich oder weiblich, sobald es erwachsen, gesund und stark genug, ist verpflichtet, ein in seinem Fache bestimmtes Tagwerk zu verrichten, widrigenfalls es keinen Anspruch auf Nahrung und Kleidung machen kann

Religionsspöttereien, Sektiererei und Proselitenmacherei werden nicht geduldet; es glaube jeder, was er will und lasse hinwieder andern ihren Glauben ungestört. Unmoralische, widerspenstige, streit- und zanksüchtige Personen werden von der Gesellschaft ausgestossen.

Will einer etwas haben ,das nicht jedem Mitglied der Gesellschaft zukommt, z. B. eine Uhr, ein Messer, ein Päckchen Tabak usw. so geht er mit dem Arbeitsbuch ins Magazin, wenn er genug vorrätige Arbeitsstunden hat (auf Borg wird nichts gegeben), und kauft was er braucht z.B eine Uhr hat einen Wert von 100 Arbeitsstunden, ein Messer einen von 6 und ein Päckchen Tabak von 1 Stunde

Der erste Anfang mag etwas schwer sein, auf Arbeit und Entbehrung kann sich jeder gefasst machen, denn in Amerika fliegen einem so wenig die gebratenen Tauben ins Maul als in Europa.

Aus den Statuten des Vereines:
Art 2
Um dem Wucher und der Habsucht alle Mittel und Wege abzuschneiden ... wird ausser dem auswärtigen Handel, in der Kolonie der Gebrauch des Geldes unter den Migliedern nicht gestattet...

Art 17
Es soll die sorgfältige Pflege für Kranke, Gebrechliche, Altersschwache, Waisen und Kinder stattfinden.

Mittwoch, 19. April 2017

Das Tausendjährige Reich

Andreas Dietsch publizierte 1843 seine utopische Schrift Das Tausendjährige Reich im Posthörnchen zu Aarau in sieben Teilen:



Audiofile mit Ausschnitten aus
Das Tausendjährige Reich
 
Siehe, Fremdling, wir leben hier nicht wie in der übrigen Welt, hier ist sich jeder gleich, keiner gilt mehr, als der Andere, Jeder muss einen Willen dem Ganzen unterordnen, damit das Allgemeine mit dem Wohl und der Freiheit jedes Einzelnen im Einklang bleibe

Gesetze haben wir keine, wir huldigen nur der Vernunft; was sie uns lehrt, ist uns Pflicht und Gesetz; die tausend Gesetze, die draussen in der Welt die menschlichen Begriffe verwirren, die Vernunft und den Geist beengen, sind bloss Produkte des Eigennutzes, des Ehrgeizes und der Habsucht, und diese Eigenschaften sind uns fremd, daher brauchen wir kein Gesetz. Jeder kennt hier seine Pflicht und erfüllt sie mit Freuden, weil er von Jugend auf nichts anderes hört und sieht.

Siehe, Bruder, hiess es, wenn alle Menschen, die arbeiten können, täglich nur 5 Stunden arbeiteten, so würde es hinreichen, sie samt denen, welche arbeitsunfähig sind, zu ernähren, wir aber arbeiten neun Stunden, damit wir für die Zeit der Noth auch Vorrath haben und kein Mangel uns und unsere Kinder treffen kann.

Jeder Wanderer hat bei uns das Recht, zwei Tage zu verweilen, und keiner ist etwas schuldig: hat einer etwas zu geben, so mag er es thun nach Gutdünken; hat er nichts oder nur wenig, so ziehe er mit Gott; wir haben immer etwas für Bedürftige übrig.

Unterdessen besuchte auch ich die Werkstätten, und fand da ebenfalls, wie bei allem bisher gesehenen, die grösste Ordnung und Reinlichkeit, die Säle waren alle geräumig und hell, und dem Bedürfnis der Arbeit gemäss eingerichtet, ..., jeder arbeitete aus eigenem Antrieb fleissig, aber frei und vergnügt. Jeder stand dem anderen bei mit Rath und That in Liebe und Freundschaft.

Ich erfuhr nun auch von diesen Leuten, dass ihr Ort nicht der einzige dieser Art sei....
Und sich zuletzt bis über den Ozean hinaus erstrecken, und alle Menschen zu einer einzigen glücklichen Familie verbinden, die sich über Bedürfnisse und Produkte gegenseitig ohne Wucher austauschen, wo jeder nur so viel für sich behält und in Anspruch nimmt, als er naturgemäss bedarf, um zu leben. Jeder so viel zum allgemeinen Wohl beiträgt, als seine Anlagen ihm gestatten, demnach keiner verkürzt wird und doch jeder genug hat

Jeder Ort hätte seine eigene Verwaltung, bestehend aus den Ältesten und Klügsten, die die Arbeiten leiteten und beaufsichtigten... Jeder Ort würde darauf achten, seine ihm eigenthümlichen Erzeugnisse so viel als möglich zu produzieren, um andern die Mangel hätten, auszuhelfen, so erhielte der Nordländer Wein, frische Trauben, Feigen und der Südländer könnte seinen Durst mit gutem Bier löschen und hätte genug Fleisch und Brod.

Die Kranken, Greise, Gebrechlichen und Kinder würden sorgfältig verpflegt

Der Link zur gesamten Schrift als pdf downloadbar bei der Aargauischen Kantonsbibliothek

Dienstag, 18. April 2017

Vernissage: Andreas Dietsch - Utopie und Realität

Am Sonntag, den 9. April präsentierten Cho Linska und Bruno Schlatter die historische Ausstellung in Noseland über Andreas Dietschs Leben und Wirken.
Der Küttiger Rudolf Iten beschäftigt sich seit 2009 mit Andreas Dietsch und erzählte zur Eröffnung eindrücklich von seinem persönlichen Bezug zum Utopisten Dietsch und seinen reellen Besuchen vor Ort in Amerika:


Die Ausstellung ist in 13 Stationen aufgegliedert, die Andreas Dietsch vorstellen, sein frühsozialistisches Umfeld wird an Station 1 aufgezeigt:


Zu jedem Posten finden sich in der Broschüre weiterführende Materialien und hier im Blog gibt's noch viel mehr Ergänzungen!


Glückliche Künstlerin Cho Linska

Bericht von Kai.Ink

Montag, 17. April 2017

Weitere Einflüsse Dietschs

Den Propheten Albrecht hat Dietsch persönlich kennengelernt, als Albrecht vor der Aarauer Schützengesellschaft sprach.

Prophet Albrecht, war Kaufmann und Wanderprediger. Er reiste in der Maske des ewigen Juden durch die Schweiz und predigte seine christlichkommunistische Lehre.
Am 5. September 1843 sprach er im Schützenhaus Aarau zu den Stadt- schützen und forderte sie auf, die geforderte Revision der Bundesakte zu nutzen, das Tausendjährige Zion zu begründen und ihn zum Präsidenten zu ernennen. Die Schützengesellschaft sah sich nicht bemüssigt, einzutreten.

 

Zu den Einflüssen Dietsch gehörten auch folgende Reisebücher:



 

  
Franz J. Grund, 1843
Handbuch und Wegweiser für Auswanderer nach den Vereinigten Staaten





 

Sonntag, 16. April 2017

Kolonien in Amerika: Nachtrag Sutter und sein New Helvetia

John August Sutter traf schon 1839 in Kalifornien ein und gründete New Helvetia. Er war gescheiterter Tuchhändler, erfolgreicher Indianervertreiber, Grossgrundbesitzer und der Gründer von Sacramento:


Und die Geschichte als eindrücklicher Epos nach L'or von Blaise Cendrars von Luis Trenker Der Kaiser von Kalifornien, ein Spitzname Sutters, der mit seinem Goldfund den Goldrausch auslöste, von dem er allerdings nicht profitieren konnte, im Gegenteil, er ruinierte ihn:


Zum Goldrausch:



New Helvetia in Sacramento:

 
Immerhin wird noch gebraut in der New Helvetia Brauerei

 


Samstag, 15. April 2017

Kolonien in Amerika : Nachtrag Utopia und Sisterdale

Durch Rudolf Iten wurden wir auf folgende utopische Gründungen aufmerksam:

Utopia in Texas



und Sisterdale, ebenfalls in Texas, welches zu den Latin Seattlement-Gründungen gehörte, ein Versuch deutscher Intellektueller, die nach der 1848er Märzrevolution flohen um sich in lateinischer Sprache schöngeistigem Getue zu widmen, wobei sie die lebenswichtigen Dinge vernachlässigten und bald daran scheiterten:

Weniger intellektuell als Wilder Westen, ein Nachzügler entwickelte einen Revolver:


Freitag, 14. April 2017

Frühsozialisten 7: Die Zofinger Fraktion

Gustav Siegfried und Rudolf Sutermeister lernte Dietsch in seiner Zofinger Zeit kennen.



Gustav Siegfried war Fabrikant und Frühsozialist: politische Gleichheit genügt nicht, da sie durch die herrschende ökonomische Klasse unterminiert wird! Er war ein Anhänger der Gütergemeinschaft.

Rudolf Sutermeister war Armenarzt und Frühsozialist: alles Heil liegt in einer kommunistischen Umgestaltung der Gesellschaft! Er plante sozialistische Experimente und unternahm Realisierungs-versuche.

 
Aus der Jahresschrift der historischen Gesellschaft des Kantons Aargau (1976):
 
Zwei aargauische Frühsozialisten
 
Gustav Siegfried

Gustav Siegfried (26. Juni 1808 bis 3. Dezember 1843 in Zofingen) wuchs auf als Sohn des Rößliwirtes Johann Siegfried (1784-1857), der auch eine Metzgerei und eine Fuhrhalterei betrieb. Der Vater wird als freigebig geschildert. Nicht nur vornehme Gäste, wie 1843 die schweize-
rische Künstlergesellschaft, beherbergte er, sondern er nahm auf Anregung seiner Söhne auch politische Flüchtlinge, namentlich Polen, gastfrei in seinem Hause auf. Gustav Siegfried weilte 1824/1825 zu seiner kaufmännischen Ausbildung in Neuenburg. In Zofingen, im «Tanner»,
gründete er ein Fabrikationsgeschäft und verehelichte sich mit Euphrosyne Suter. Frühzeitig war er geistig eigene Wege gegangen; er interessierte sich, nach seiner eigenen Bekundung, für alle vaterländischen Angelegenheiten, nahm alle neueren Ideen in sich auf und verteidigte überall, wo er hinkam, das Schroffste. Früh brach er mit der Kirche und geriet zeitweilig mit Eltern, Verwandten und Bekannten in Zerfall.
Schließlich gelangte er «zu dem Schlüsse, zu welchem so wenige Politiker, Weltbeglücker und -herrscher kommen, zur Erkenntnis des einzig Wahren und Guten, zur Gütergemeinschaft», und ließ sich darin durch neue wertvolle Bekanntschaften immer mehr bestärken. Diese neue Gesamtansieht führte ihn auch zu einer neuartigen Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen seiner Heimat. Politische Gleichheit konnte ihm nicht genügen, überall sah er die noch zu tilgenden
Spuren wirtschaftlicher Ungleichheit, die das rechte Funktionieren der politischen Gleichheit in Frage stellten. 
1837 besuchte er die eidgenössische Militärschule in Thun. Einer seiner Kameraden, der spätere bernische Regierungsrat Dr. Schneider aus Nidau, schilderte ihn einige Jahre später als «einen ebenso vielseitig gebildeten als humanen Mann, der sich bei jeder Gelegenheit des Armen und Schwachen teilnehmend zeigte». Oft sprachen sie an den Abenden in Gesellschaft anderer «von
dem Einflüsse, den die neueren philosophischen Schulen, die vielen neuen Entdeckungen und die infolge derselben entstehenden Veränderungen in dem Organismus der Arbeit auf die sozialen Verhältnisse der zivilisierten Staaten in Zukunft haben werden. Dabei unterlagen auch
die saintsimonistische Lehre, die neuesten Versuche des Owenismus und die Schule Fouriers, selbst Piatos Republik, aber auch reaktionäre Lehren die damals in Frankreich einiges Aufsehen machten, bei einer Tasse schwarzen Kaffees unserer militärischen Kritik, wobei man sich gerne in der Behauptung von paradoxen Sätzen gefiel und da, wo es nicht gehen mochte, wohl auch den gordischen Knoten mit dem Säbel durchschnitt.» Siegfried legte dabei von allen am meisten literarische Kenntnisse und Proben tiefern Nachdenkens an den Tag. Ganz besonders verteidigte er «die Notwendigkeit eines freundlichen Verhältnisses der Kapitalisten und Fabrikherren zu den Arbeitern». Seinem Kameraden Schneider kam Siegfried um so achtenswerter vor, als er wußte, «daß er von Haus aus sehr vermöglich, Miteigentümer und Vorstand eines bedeutenden Fabrikgeschäftes ist». 
1841 war Siegfried in Paris, lernte einzelne sozialistische Theoretiker persönlich kennen und brachte nach seinem eigenen Zeugnis die ganze sozialistische Literatur mit nach Hause, von der er manches schon früher kennengelernt hatte. Cabets «Voyages en Icarie» hatte er von dem frühverstorbenen, von ihm verehrten Kehrwand geschenkt bekommen.
Als im Jahre 1842 W. Weitling, einer der ersten deutschen originalen Theoretiker des Kommunismus, aus Paris in die Schweiz übersiedelte, trat er auch mit Siegfried in Verbindung. Er mochte von ihm gehört haben, konnte aber nicht recht glauben, daß einer, der selbst «Kramerei» treibe, der Gütergemeinschaft wirklich huldigen könne, und Siegfried gab ihm nun denjenigen Aufschluß über seine persönliche Entwicklung, seine Ansichten und Ziele, den wir oben verwertet haben. Nach diesem ersten Brief aus dem Juli 1842 bricht nun aber die Korrespondenz, soweit erhalten, ab, die ferneren neun Briefe an Weitling fallen alle in das Jahr 1843, der letzte ist am 8. Juni, dem Tag vor Weitlings Verhaftung, geschrieben.
Als Weitling ihm seine «Garantien der Harmonie und Freiheit» zuschickte, bedurfte er des Exemplars nicht, hatten doch er wie sein Bruder Friedrich Samuel, der Jurist und aargauische Regierungsrat, das Buch bereits in der Buchhandlung gekauft und gelesen. Siegfried beteiligte sich bald tätig an der Verbreitung von Weitlings Zeitschrift «Die junge Generation», die 1842/1843 nacheinander in Lausanne, Vevey und Langenthal herauskam. Zeitweilig besorgte er gar die Druckkorrekturen und
lieferte auch einzelne Beiträge. Ebenso wichtig aber schien es ihm, solchBeiträge in radikalen Blättern, wie dem Aarauer «Posthörnchen» oder der Badener «Dorfzeitung», unterzubringen, war es ihm doch ein Anliegen, daß man ihre Sache nicht totschweige, sondern von ihr rede, sei es auch in Form der polemischen Auseinandersetzung. Siegfried trat, wie es scheint, auch Weitlings «Bund der Gerechten» bei.
Seines Mitbürgers R. Sutermeister Versuche, durch die Verwirklichung kleiner Lebensgemeinschaften auf gemeinwirtschaftlicher Grundlage dem allgemeinen Kommunismus vorzuarbeiten, lehnte er aus nationalökonomischen wie aus taktischen Erwägungen ab; er sagte ihnen ein rasches Scheitern voraus und war der Ansicht, daß derartige zu w enig fundierte Versuche, wenn sie, nach außen hin, an der Entzweiung und dem Eigennutz der Mitglieder schließlich scheiterten, der Sache mehr schaden als nützen könnten. Er trat für unablässige Propaganda ein, und zwar mehr bei den unverbildeten Handarbeitern als bei den Gebildeten und Politikern, und es scheint, er hätte nicht davor zurückgeschreckt, den geeigneten Moment, wenn er sich bot, zu einer revolutionären Umwälzung zu benützen. Zugleich aber war er im Sommer 1843 mit dem Neubau seiner Fabrik sehr stark beschäftigt, konnte Weitling nicht so stark helfen, wie er es eigentlich beabsichtigte, und mußte diesen auf den kommenden Winter vertrösten. Oft mahnte er ihn, der sich seit dem April in Zürich aufhielt, zu größerer Vorsicht, wobei er sich auf Informationen stützen konnte, die ihm sein Bruder
verschafft hatte. Er riet ihm, sein neues großes Werk « Evangelium des armen Sünders» nicht in Zürich zu Ende zu drucken; er hoffte, nachdem er die pressepolizeiliche Lage durch seinen Bruder hatte abklären lassen, Zehnder in Baden als Verleger zu gewinnen. Er lud Weitling zu Besprechungen in den Aargau ein, ja, es scheint, Weitling sei im Momente seiner Inhaftierung im Begriffe gewesen, seinen Wohnsitz in den Aargau zu verlegen; dann aber wäre dieser Wohnsitz sicher im «Tanner» in Zofingen aufgeschlagen worden.
Weitling schätzte Siegfried hoch ein. «Ein Felsenmann», so formuliert er noch in seinen Zürcher Gefängnisnotizen, «ganz der Type aus Schillers Bürgschaft. Der wird wohl in dem Drama eine Heldenrolle übernehmen müssen.» Indessen waren derartige Hoffnungen des Gefangenen auf eine
revolutionäre Erhebung seiner Anhänger anläßlich des Vollzuges seiner Ausschaffung wahnhaft übersteigert. Es geschah nichts. Weitling wurde abgeschoben und wanderte bald nach England und Amerika weiter.
Seine Verbindungen zu schweizerischen Gesinnungsgenossen blieben eine rasch vorübergegangene Episode. Von Siegfried aber hören wir einzig noch, daß er im Dezember des gleichen Jahres verstorben ist.
Quellen und Literatur
- Weitling-Korrespondenz im Zürcher Staatsarehiv.
- Ganz geringe Spuren im Zofinger Stadtarchiv: über die Aufnahme von Polenfliicbtlingen
im «Bößli» in Zofingen gibt interessanten Aufschluß ein Brief des Bruders,
F.S.Siegfried, an W.Vischer (1808-1874) in StABS, Priv. Arch. Nr.511.
- G.K., Begierungsrat J.B.Schneider des Kommunismus angeschuldigt (einem hier
wiedergegebenen Briefe Schneiders sind die Angaben über die Thuner Militärschule
entnommen), in Der Kleine Bund vom 19. August 1928.
- Im Jahre 1963 ist in Bern eine dickleibige Biographie Jobann Budolf Schneiders aus
der Feder von alt Bektor Hans Fischer (Biel) erschienen. Soweit ich sehe, findet
darin Gustav Siegfried keine Erwähnung.
- E.Barnikol, Weitling, der Gefangene und seine «Gerechtigkeit». Kiel 1929, in:
Christentum und Sozialismus. Quellen und Darstellungen, herausgegeben von
E.Barnikol.

Rudolf Sutermeister
 
Rudolf Sutermeister, Arzt, von Zofingen, war am 7. Mai 1802 in Wynigen BE geboren und starb am 9. Mai 1868 in seiner Vaterstadt Zofingen. Sproß einer Zofinger Ratsherrenfamilie, wuchs er als Sohn des Pfarrers Johann Georg Sutermeister in Wynigen bei Burgdorf auf. Gymnasial- und Fachausbildung als Arzt erhielt er in Bern (wenigstens ist uns bis jetzt über anderweitige Hochschulstudien nichts bekannt geworden), wo er seit 1819 auch dem Zofinger Studentenverein angehörte. Er eröffnete, 1824 in Aarau patentiert, eine Praxis in seiner Vaterstadt, wo er sich im folgenden Jahre auch verehelichte. Vorübergehend wohnte er an der Kreuzstraße, wo er die Arztpraxis mit der Führung eines landwirtschaftlichen Betriebes zu verbinden versuchte. 1831 kaufte
er in der Oberstadt ein Haus, war aber ökonomisch schon soweit heruntergekommen, daß er nur eine kleine Anzahlung leisten und für den großen Restbetrag nicht einmal einen Bürgen finden konnte. Gerne übernahm er allerlei Funktionen (Armenarzt, Totenbeschauer), die weder an Geld noch Ehre viel einbrachten, aber doch das Einkommen des ökonomisch Unbegabten, der seine Honorarguthaben jahrelang nicht einforderte, offenbar ein klein wenig verbesserten. Nie kam er mehr aus den ökonomischen Bedrängnissen heraus, mehr als einmal ging es nur mit Mühe am Geldstag vorbei. 
Seine Frau, Susanna Magdalene geborene Oberteuffer (1802-1873), Tochter eines Herisauer Arztes, sah sich schon 1838 veranlaßt, an die Sicherung ihres eingebrachten Gutes zu denken, und der Gemeinderat bestellte ihr einen Vormund, der die Hälfte dieses kleinen Vermögens zu ihren und der drei Kinder Gunsten zu verwalten hatte. 1847 wurde dem Arzte Sutermeister gar die väterliche Gewalt entzogen. Mehrfach kam er auch wegen kleiner Polizeivergehen mit den Behörden in Konflikt, saß aber trotzdem seit 1826 in der Schulpflege und wurde immer wieder etwa in ortsbürgerliche Kommissionen abgeordnet.
Es handelt sich also um eine der zahllosen Seldwylerexistenzen aus schweizerischen Kleinstädten, die als solche keine weitere Beachtung erheischen können. Daß aber dieser Zofinger Armenarzt auch als Sozialreformer aufgetreten ist, macht seine Gestalt doch denkwürdig.
Im Jahre 1837 wandte er sich zum ersten Male mit einem sozialreformerischen
Manifest an seine Mitbürger. Sein Titel klingt chiliastisch und
konnte so vielleicht in dem aargauisch-bernischen Grenzgebiet, wo in
jenen Jahren vielfach Wanderprediger, von den Behörden immer wieder verfolgt, herumzogen, am ehesten ein Echo finden. Daß aber Sutermeister auch mit dem französischen Frühsozialismus vertraut war, zeigen mehrfache Indizien. So motivierte seine Frau ihr Gesuch um Vermögenssicherung unter anderem damit, ihr Mann vernachlässige seinen Beruf und trage sich nur mit dem Gedanken einer saintsimonistischen Gemeinschaft. Sutermeister war in solchen Dingen ein Mann der unmittelbaren Verwirklichung, im Unterschiede zu seinem Mitbürger G.Siegfried, der
seine Menschenfreundlichkeit hochachtete, sich in Theorie und Methode aber von ihm abhob, im Gegensatze auch zu W. Weitling, dem er brieflich trotzdem wirksame Hilfe anbot. 
Sutermeister wollte durch einen sozialistischen Versuch für sein Ideal der Sozialreform wirken. «Ein guter Anfang», schrieb er einmal, «ein Seminar, ein anfangs ganz kleiner, aber sich dann immer mehr erweiternder und vervollkommnender Musterstaat, der seine Strahlen, der aufgehenden Sonne gleich, unantastbar nach allen Seiten verbreitet und geeignet ist, alle Vorurteile bei Nacht und Nebel zu verdrängen, das, das muß unser Bestreben, die Waffe und das Mittel sein, womit wir das Böse bekämpfen und eine bessere Zeit schaffen, und das ist und bleibt nun das Ziel aller meiner Bemühungen. »
Es ist wohl erlaubt, bei Sutermeisters Versuchen an Erscheinungen wie die Phalanstères des französischen Frühsozialisten Fourier zu denken. 1840 bat Sutermeister die Behörden, ihm ein dazu geeignetes Haus zur Verfügung zu stellen; ohne Erfolg. Zwei Jahre später, als seine Anhänger
zugenommen hatten, schien die Realisierung ohne jegliche behördliche Unterstützung unmittelbar vor der Türe zu stehen, die Möglichkeit, «eine Liegenschaft anzukaufen und eine gemeinsame Wirtschaft zu eröffnen, der sich dann schnell immer mehrere anschließen und damit eine allgemeine Reform nach sich ziehen werden». Indessen eilte die Phantasie Sutermeisters offenbar der Wirklichkeit zu weit voraus. Es kam weder jetzt, aus den eigenen Kräften der Beteiligten, zu einer Verwirklichung, noch 1844, als Sutermeister nochmals zu solchem Ende an die Behörden gelangte. Weitlings Verhaftung und Wegweisung im Sommer 1843 trug Sutermeister weiter keine Nachteile ein, wurde doch Bluntschlis «Kommissionalbericht über die Kommunisten in der Schweiz» (nach
den bei Weitling vorgefundenen Papieren), Zürich 1843, in Aarau einfach zu den Akten gelegt, offenbar, weil man Bluntschlis Vorgehen einzig im Lichte der aktuellen Parteipolitik sah. Als Sutermeister aber drei Jahre später vom Zofinger Gemeinderat vergeblich ein Lokal (den Rathaus- oder Musiksaal oder auch ein gewöhnliches Unterrichtszimmer) zur Abhaltung von Vorträgen und Diskussionen erbat und nun im «Zofinger Wochenblatt» ankündigte, diese Vorträge fänden in einer Pintenschenke an der Kreuzstraße statt, zog er sich ein behördliches Verbot zu, und als er es übertrat, indem er seinen Vortrag durch einen Gesinnungsgenossen verlesen ließ, Verweis und Androhung der Wegweisung zuhanden seiner Anhänger, die nicht Kantonsbürger waren.
Im Jahre 1847 verlegte er seine sozialreformerischen Projekte auf den privaten Bereich zurück. In äußerste ökonomische Bedrängnis geraten, begehrte er vom Gemeinderat die Freigabe des Vermögens von Frau und Kindern, um mit seinen zwei Söhnen einen landwirtschaftlichen Betrieb
zu eröffnen. Er wollte die jungen Leute dem Handel, dem sie sich gewidmet, entziehen, offenbar ebensosehr aus tiefsitzenden Vorurteilen heraus, die ihre Begründung in verschiedenen Schichten der Überlieferung fanden, wie in der schon blasser gewordenen Perspektive einer endgültigen Sozialreform, bei deren Gelingen alle Kramerei überflüssig wäre; er selber aber hoffte, seine Medizinalpraxis auf dem Lande nach seinen Idealen, aber auch mit größerem Ertrage betreiben zu können, weil er dort nicht mehr durch die städtischen Apotheken, an die er Rezepte ausstellen mußte, gebunden wäre. Wieder erfuhr er Ablehnung, auch von seinem eventuellen Plane einer Auswanderung nach Amerika wollte man nichts wissen. 
Dem Sohne Rudolf (1827-1849) aber schien es vorbehalten, das geistige Erbe des Vaters anzutreten. Als er keine kaufmännische Anstellung finden konnte, trat er, gewiß durch die Vermittlung seines Vaters, mit der Société Icarienne in Paris in Verbindung, und als ein Mittelsmann dem Vormund recht befriedigende Auskünfte über diese Gesellschaft wie über ihren Chef, Herrn Cabet an der Rue Jean-
Jacques 18 in Paris, geliefert hatte, erlaubte ihm der Gemeinderat, über einen Teil des Legates, das ihm von Burgdorfer Verwandten zugefallen war, zu verfügen, um Mitglied der Kolonie zu werden, die die Gesellschaft am Roten Flusse im Texasgebiete auf kommunistischer Grundlage gründen wollte. Da die Februarrevolution zu einer Verschiebung der Abfahrt zwang, schloß sich der junge Sutermeister nun einem Friedrich Gränicher an, der in Amerika zu der Kolonie eines Herrn Suppiger stoßen wollte.
Dort starb Rudolf Sutermeister schon im folgenden Jahre. Der jünger Sohn, Arnold Sutermeister (1829-1905), aber wurde nach allerlei Schwierigkeiten ausgerechnet ein geachteter Bankbuchhalter in seiner Vaterstadt Zofingen.
Zum letzten Male meldete sich der Sozialreformer Sutermeister aus Anlaß der großen aargauischen Verfassungsrevision, die sich über drei Jahre hinzog, zum Worte. Bei den Petitionen aus dem Spätjahr 1851 liegt eine, die weit über die speziellen formalpolitischen und materiellen Volkswünsche hinausgeht. Ihr Autor, der Arzt Sutermeister aus Zofingen, konnte nur in einer Gesamtlösung das Heil sehen, wo der Staat «die Sorge für die bestmögliche Befriedigung aller Bedürfnisse für seine Angehörigen übernimmt». Sutermeisters Zuruf fand auch jetzt nicht das geringste Echo.
Sutermeisters bürgerliches Ansehen hat, wie es scheint, weder durch seine sozialistische Agitation noch durch sein ökonomisches Mißgeschick und seine wenig idealen Familienverhältnisse gelitten. Auch in Aarau ließ man ihn gewähren, und der Sanitätsrat gab einem Auftrage der Regierung, ihn auf seinen Geisteszustand hin zu untersuchen und ihm eventuell das Arztpatent zu entziehen, keine Folge. 
Zeitweilig scheint er in Zofingen sogar einen gewissen Einfluß ausgeübt zu haben; er gehört
vielleicht zu den Männern, die dazu mitgewirkt haben, daß Zofingen in der Jahrhundertmitte so etwas wie die politische Wetterecke des Kantons wurde. Seine eigentlichen Ideale aber traten nicht in die Wirklichkeit, seine Schriften sind zum größeren Teile verschollen, er selbst vergessen.
Sicher hatte ein Mann wie Sutermeister in seiner Zeit eine gewisse Aufgabe zu erfüllen, stellte doch die industrielle Revolution neue soziale und politische Aufgaben, die nirgends sogleich erkannt wurden. Die Wege zu ihrer Lösung aber waren verschieden. Auch im Aargau zog man eine Sozialpolitik, die ein starkes Maß individueller Freiheit wahrte, einer Sozialrevolution, die, wie wir heute vollends wissen, den Einzelnen hätte zum Staatssklaven machen müssen, vor.
 
Schriften
- Tagwache zum Anbruch des Beiches Gottes auf Erden. Oder: Der Armen Erlösung,
der Schwachen Heil, der Beichen Glück, der Menschen höchstes Ziel. Zofingen 1837.
- Ehrerbietige Vorstellung und Bitte an den tit. Großen und Kleinen Bat des löblichen
Kantons Aargau, 13. November 1840.
- Aufruf zur Bildung eines allgemeinen Vereines, zu gegenseitiger, bestmöghchster
Erleichterung, Vervollkommnung und Beglückung. Langenthal 1843.
- Die Not und Bettung. Ein Wort zur Zeit. Zunächst an das liebe Schweizervolk.
Langenthal 1845.
- Keine Armennot mehr! Oder Mittel und Weise der immer zunehmenden Verarmung
und damit verbundenen Not und Gefahr für Alle sicher vorzubeugen und abzuhelfen.
2. Aufl. Langenthal 1845.
344
- Die schreckliche Vernichtung unseres bestehenden, sogenannten Bechts oder Unrechts
durch das wahre Christentum. Erwiesen in einem Schreiben eines Schuldners an
seinen Gläubiger (Motto: «Das Licht scheinet in der Finsternis, aber die Finsternis
hat es nicht begriffen»). Gedruckt und in Kommission bei Bud. Steinegger in Zofin¬
gen, 1846, 20 S.
- Allen Aargauern zu gefälliger Beachtung empfohlen. Unser Zustand im Kulturstaat
Aargau und die neue Verfassung, oder: warum wir noch keine haben, wo es fehlt
und was da zu machen ist. Zofingen, September 1851.
- Ehrerbietige Vorstellung und Eiidadung an meine lieben Mitmenschen, undatiert.
Erhalten scheinen einzig die Ehrerbietige Vorstellung von 1840 (bei den Akten des
aargauischen Staatsarchivs), Die schreckliche Vernichtung (aargauische Kantons¬
bibliothek), Allen Aargauern zu gefälliger Beachtung empfohlen (aargauische Kan¬
tonsbibliothek, Sammelband Verfassungsrevision 1849/52, C 4769 d), Ehrerbietige
Vorstellung und Einladung an meine lieben Mitmenschen (aargauische Kantons¬
bibliothek, Varia helvetica 49 q, e).
Quellen
- Kleinratsprotokolle und Akten in Aarau.
- Gemeinderatsprotokolle, Akten und Korrespondenzen im Stadtarchiv Zofingen.
- Weitling-Korrespondenz im Staatsarchiv Zürich.
Der Verfasser dieser beiden Biographien hatte eine Zeitlang Material gesammelt für
eine Studie über «Radikalismus und Frühsozialismus im Aargau», sah sich aber ver¬
anlaßt, dieses Vorhaben angesichts anderer Aufgaben, die an ihn herantraten, aufzu¬
geben.