Montag, 24. April 2017

Das Ende von Mew Aarau

In einem längeren Brief im November


10. November
Neid, persönliche Abneigung und Eigennutz lösten die Bande der Eintracht und das Streben für eine schöne Zukunft, dann noch das Unglück, das das Fieber unter uns anrichtete und das ganze Unternehmen dem gänzlichen Scheitern nahe brachte, denn es fehlte nur noch ein Schritt, so wäre die ganze Republik New-Helvetia nur noch in meiner Wenigkeit repräsentiert gewesen. Die Unzufriedenheit erreichte von allen Seiten einen solchen Grad, dass alle fort wollten; im Anfang konnten fast keine Lebensmittel angetrieben werden, das Fleisch war bald stinkend und voller Würmer, Speck und Welschkornbrot wollte keinem schmecken, dazu die schwere, ungewohnte Arbeit bei einer grossen Hitze ...
Kurz, es schien sich alles vereinigen zu wollen, das hoffnungsvolle Unternehmen noch ehe der Grund gelegt war, zu zerstören. Hätten wir hingegen ein zweites Haus bauen können, dass die Familien und Ledigen hätten abgesondert wohnen können, dass Letztere nicht Tag und Nacht das Geschrei und anderes der Kinder beständig hätten hören und mitansehen müssen, und wir nur etliche Acres Land hätten klären und mit Weizen säen können, so wäre alles anders gestanden; mit der Krankheit steigerte sich die Unzufriedenheit, wozu sich das Heimweh gesellte. Wir befanden uns alle in einem bejammernswerten Zustand. ... und dennoch gab ich die Hoffnung nicht auf, wenn auch alles fortgegangen wäre, so wäre ich allein hier geblieben...
Unsere Wahl der Niederlassung hätte vielleicht auch besser sein können, aber ich verstand so wenig davon als die andern; aber in der kurzen Zeit haben wir so viel gelernt, dass, könnten wir wieder von vorn anfangen, das Resultat sich besser herausstellen sollte. Wir haben allerlei Fehler begangen, dafür habe ich keine Entschuldigung ...
Denn ich hatte doch viel Vorzüge gegen meine vorigen Verhältnisse; wenn ich anfangs schon nur anderthalb Fuss breiten Platz und eine Handvoll Stroh zum Schlafen hatte, so wohnte ich doch im eigenen Haus und auf unserem Land; ich kann unser Pferd reiten, und sollte ich sterben, so werde ich auf unserem Land begraben... unser Lebensunterhalt ist ganz einfach: des Morgens haben wir eine Suppe oder Kaffee und Welschkornbrot oder Polenta dazu, Mittags, Suppe, Fleisch, Erdäpfel und weisse Bohnen oder Erbsen dazu, und des Nachts wie am Morgen; Wein oder Bier haben wir noch nicht gesehen, viel weniger getrunken, und mit dem Branntwein wollen wir der üblen Folgen wegen nichts zu schaffen haben ...
Hier lässt sich ohne Geld ebenso wenig ausrichten wie anderwärts. Im ganzen führen wir ein beschauliches Leben, man gewöhnt sich so nach und nach an die Verhältnisse, hoffend, dass es besser komme, wir haben Tag und Nacht ein lustiges Feuer im Kamin brennen, brauchen aber wöchentlich auch 1 ½ Klafter Holz, wer gesund ist arbeitet den Tag über was die Notwendigkeit erfordert und des Abends sitzen wir beisammen, erzählen uns allerhand und rauchen wohlfeile Zigarren, denn wir machen sie selbst und den Tabak fechten wir bei den Nachbarn.


15. November
Es war anfangs der Woche so kalt, dass 3 Meilen unterhalb von uns der Osage überfroren war...
Was ich daher jedem raten möchte, ist, dass er alles so macht, wie es die machen, welche schon lange da sind, wenn es ihm am Anfang auch verkehrt vorkommen sollte, er wird alsdann viel besser fahren als wenn er seinem eigen Kopf folgt.

Auszüge aus dem Tagebuch
gelesen von Bruno Schlatter

15. Dezember Brief
Es tut mir in der Seele weh, dass ich euch nicht alles von uns gehoffte Erfreuliche aus der neuen Heimat jetzt schon berichten kann; erschreckt aber deshalb nicht, denn aller Anfang ist schwer, und schwerer als jede Arbeit ist es, mit verschiedenartig gesinnten Menschen in Gemeinschaft etwas anzufangen und auszuführen. Ist aber nur einmal ein rechter Anfang gemacht, so ist mir auch für die Zukunft nicht bange, denn hier ist Raum genug für viele tausend Menschen, die sich gegenseitig glücklich machen können, wenn sie nur ernstlich wollen. ... Wo wir gefehlt haben, ist nicht böser Wille, wohl aber Unkenntnis schuld daran


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